12.12.2018
Landtag hat neue Präsidentin
Birgit Diezel erhält Mehrheit der Stimmen
Die Ostthüringer Landtagsabgeordnete Birgit Diezel (Gera) ist heute (Mittwoch) im Thüringer Landtag mit 48 Ja-Stimmen, bei 27 Nein-Stimmen und 12 Enthaltungen zur Landtagspräsidentin gewählt worden. Die neue Präsidentin ist bis zum Ende der aktuellen 6. Wahlperiode im Oktober 2019 gewählt. Diezel hatte das Präsidentenamt bereits von 2009 bis 2014 inne.
Hintergrund:
Birgit Diezel war bereits in der fünften Legislatur (2009 bis 2014) Präsidentin des Thüringer Landtags. Davor war die Parlamentschefin Finanzministerin (2002 bis 2009) und gleichzeitig stellvertretende Ministerpräsidentin des Freistaats Thüringen (2004 bis 2009). Von 1999 bis 2002 war Diezel Staatssekretärin im Finanzministerium.
Im Thüringer Landtag amtierten seit 1990 folgende Präsidentinnen bzw. Präsidenten:
- 1. Wahlperiode (1990 bis 1994): Gottfried Müller
- 2. Wahlperiode (1994 bis 1999): Frank-Michael Pietzsch
- 3. Wahlperiode (1999 bis 2004): Christine Lieberknecht
- 4. Wahlperiode (2004 bis 2009): Dagmar Schipanski
- 5. Wahlperiode (2009 bis 2014): Birgit Diezel
- 6. Wahlperiode (seit 2014): 2014–2018: Christian Carius
Diezel: Ich werde die Vertreterin aller Abgeordneten des Thüringer Landtags sein
Wortlaut der Antrittsrede von Landtagspräsidentin Diezel
Die Abgeordneten des Thüringer Landtags haben heute (Mittwoch) die Osthüringer Landtagsabgeordnete Birgit Diezel mit 48 Ja-Stimmen, bei 27-Nein-Stimmen und 12 Enthaltungen als Nachfolgerin von Christian Carius zur neuen Landtagspräsidentin gewählt. Der Thüringer Landtag dokumentiert nachfolgend den Wortlaut der Rede von Landtagspräsidentin Diezel anlässlich der Amtsübernahme:
Sehr geehrte Kolleginnen Vizepräsidenten,
sehr geehrte Damen und Herren Fraktionsvorsitzende,
liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrte Damen und Herren Mitglieder der Landesregierung,
sehr geehrte Gäste auf der Tribüne,
sehr verehrte Vertreter der Medien!
An erster Stelle steht mein herzlicher Dank an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, für das Vertrauen, das Sie mir durch Ihre Wahl entgegengebracht haben. Das Vertrauen all jener, die mich nicht gewählt haben, möchte ich in den kommenden Monaten erwerben.
Die Neuwahl des Landtagspräsidenten findet in der laufenden, sich schon dem Ende zuneigenden Wahlperiode statt. Jede Legislaturperiode hat ihren eigenen Charakter, ihre eigenen Schwerpunkte und Spannungsfelder. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, kennen diese genau. Schließlich debattieren Sie schon seit vier Jahren miteinander. Ich selbst möchte mich schnell hineinfinden. Und ich möchte jene unter Ihnen, die ich noch nicht persönlich kenne, gerne möglichst bald kennenlernen.
Die vergangenen Wochen waren, nach dem Rücktritt des bisherigen Landtagspräsidenten Christian Carius, dem für seine Arbeit in diesem Amt zu danken ist, keine einfache Zeit für den Thüringer Landtag. Und es liegt ein ereignisreiches Jahr vor uns.
Bevor ich jedoch hierzu einige Worte sage, möchte ich an die Opfer des Anschlags in Straßburg erinnern. Ihnen und ihren Angehörigen gilt unser tiefes Mitgefühl. Wir sind heute in Gedanken immer wieder bei unseren französischen Freunden. Ich bin sicher, dies im Namen aller hier versammelten Kolleginnen und Kollegen sagen zu können.
Es ist nicht einfach, unter dem Eindruck solcher schrecklichen Ereignisse wieder dem parlamentarischen Tagesgeschäft nachzugehen. Und doch ist gerade dies unsere Aufgabe: Auseinandersetzungen mit Worten und auf der Basis gemeinsamer Grundwerte auszutragen.
In diesem Sinne danke ich den beiden Vizepräsidentinnen Margit Jung und Dorothea Marx für ihre Arbeit in der Vakanz-Zeit, die der Thüringer Landtag in den letzten Wochen erlebt hat.
Und ich möchte meinen Respekt dem Kollegen gegenüber zum Ausdruck bringen, der sich jüngst in diesem Plenarsaal zur Wahl gestellt hat, um diese Vakanz zu beenden, lieber Michael Heym.
Trotz vieler überraschender Erlebnisse in meiner politischen Laufbahn hätte ich nie erwartet, ins Amt der Landtagspräsidentin zurückzukehren. Doch: Ich nehme diese Herausforderung an. Denn ich habe diesem Parlament 15 Jahre lang angehört. Und ich bin zutiefst überzeugt davon, dass die parlamentarische Demokratie es verdient, mit Herzblut gelebt, vertreten und nötigenfalls gegen Angriffe verteidigt zu werden.
Diesen Einsatz verdient und benötigt die parlamentarische Demokratie auf allen Ebenen. Das beginnt in den kommunalen Vertretungskörperschaften, wo sich im kommenden Jahr wieder viele ehrenamtlich tätige Bürgerinnen und Bürger zur Wahl stellen werden. Sie praktizieren Demokratie unmittelbar vor Ort und in ganz engem Bezug zum Lebensalltag.
Von dort reicht die Spannweite demokratischer Repräsentation bis hin zur europäischen Ebene. Hier bedarf es angesichts erheblicher Spannungen innerhalb der Europäischen Union gerade jetzt leidenschaftlicher Parlamentarier. Ich empfinde deshalb große Achtung vor Marion Walsmann, die sich dieser Aufgabe stellt.
Leidenschaftliche Parlamentarier sein, das heißt: Auch in schwierigen Zeiten aus der Überzeugung leben, dass es die parlamentarische Demokratie ist, die der Bundesrepublik Deutschland seit fast 70 Jahren Freiheit, Frieden und Wohlstand ermöglicht. Dabei denke ich auch an das 2019 bevorstehende Jubiläum „100 Jahre Weimarer Verfassung“, das Landtag und Landesregierung derzeit in Zusammenarbeit mit dem Bund vorbereiten. Wir stehen in der Tradition der Männer und Frauen, die damals unter schwersten Bedingungen einen demokratischen Staat schufen.
Den 25. Jahrestag der Verabschiedung der Thüringer Verfassung haben wir erst vor kurzem begangen. Der Begriff der Verfassung hat aber bekanntlich einen Doppelsinn: Er bezeichnet die staatliche Grundordnung, aber auch den Zustand, die derzeitige Lage eines Individuums oder eines Gemeinwesens. Hier nun sehe ich besorgniserregende Entwicklungen einer zunehmenden Verrohung. Sie schlägt sich sprachlich nieder, äußert sich aber auch in Hass und Gewalt und in Verachtung demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen.
Besonders besorgniserregend ist die Zunahme antijüdischer Übergriffe. Antisemitismus und Rassismus dürfen in Thüringen keinen Platz haben. Wir werden alles dafür tun, dass sich die Verbrechen der Shoa nie wiederholen. Alle Demokraten sind der Jüdischen Landesgemeinde tief verbunden. Sie kann unserer uneingeschränkten Unterstützung gewiss sein.
Erwähnen will ich auch die unsäglichen Angriffe auf unsere Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Polizisten. Wir als Parlamentarier müssen uns entschieden und immer erneut hinter jene Menschen stellen, die haupt- oder ehrenamtlich anderen helfen und sich dabei Angriffen ausgesetzt sehen. Und wir sollten hinter unseren Polizisten stehen, die den Rechtsstaat oft unter Einsatz von Leib und Leben verteidigen.
Zugleich sind wir aufgerufen, gerade der sprachlichen Verrohung keinen Vorschub zu leisten. Die Debatte in diesem Haus kann und soll leidenschaftlich und streitbar in der Sache sein. Sie soll aber nicht in persönliche Beleidung oder Ehrabschneidung ausarten. Derartiges wird die Sitzungsleitung, hier bin ich mir mit meinen Kolleginnen Vizepräsidenten einig, auch künftig nicht tolerieren.
Ein konstruktiver politischer Dialog setzt eine stabile politische Kultur voraus. Diese politische Kultur wird von uns allen Tag für Tag maßgeblich geprägt. Demokratie heißt auch: eine Kultur des vernünftigen Umgangs zwischen politischen Gegnern, das Aushalten von Spannungen sowie die Bereitschaft zum Konsens. Demokratie erfordert neben Freiheit auch solide Institutionen, vor allem aber Verstehen, Vertrauen und Verantwortung im Wechselspiel zwischen Repräsentanten und Bürgern.
Ich will in meinem Präsidentenamt hier in unserem Freistaat Thüringen für das parlamentarische Regierungssystem, für die repräsentative Demokratie werben und eintreten. Und ich plädiere dafür, unsere demokratische Ordnung lernfähig zu gestalten und weiter zu entwickeln. Seien wir als Parlamentarier offen für Innovationen, für neue Ideen. Haben wir den Mut zu Veränderungen. Und vor allem: Haben wir stets Augen und Ohren bei den Bürgerinnen und Bürgern.
Achten wir als Parlamentarier gerade in Zeiten des Populismus, in Zeiten der Parteien- und Politikverdrossenheit die Grundwerte unserer Thüringer Verfassung und die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie, vor allem die parlamentarische Verfahrensklugheit.
In einer Zeit, da Unbehagen, Unzufriedenheit, Verdrossenheit gegenüber Parteien und der Politik auch bei uns in Thüringen um sich greifen, bin ich trotzdem positiv gestimmt. Die politischen Parteien und die parlamentarische Demokratie können sich immer wieder erneuern, das haben sie bewiesen. Der Parlamentarismus hat Zukunft.
Für ihn sprechen vor allem Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit. Für diese Werte sind 1989 die Menschen auf die Straße gegangen. Erinnern wir uns daran, wenn wir im nächsten Jahr des 30-jährigen Jubiläums der Friedlichen Revolution gedenken.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
was ich in den noch vor uns liegenden Monaten dieser Wahlperiode zur Stärkung des Parlamentarismus beitragen kann, will ich tun. In meiner Amtsführung werde ich mich selbstverständlich an die Gebote der Neutralität und der Überparteilichkeit halten. Ich werde Vertreterin aller Abgeordneten sein und möchte dieses Haus – das einzige direkt vom Volk legitimierte Verfassungsorgan Thüringens – angemessen repräsentieren.
Meine Bitte an Sie alle ist, meine Kolleginnen Vizepräsidenten und mich – bei allen sachlichen Meinungsunterschieden – in der Pflege eines respektvollen, kollegialen Stils zu unterstützen. Seien wir uns bewusst, dass alle Auseinandersetzungen, die hier geführt werden, letztlich einem Ziel dienen: Für unsere Thüringer Heimat im politischen Wettbewerb die besten Wege in die Zukunft zu finden.
Vielen Dank.